Vortrag

Bei meiner letzten Besprechung über die verschiedenen Körperteile sprach ich über den Kopf. Heute werde ich vom Gegenteil reden.

Der Sitz des Menschen ist es, welcher uns heute besonders interessiert. Es ist eigentlich sonderbar, daß dieser Teil stets verschwiegen und hinten an gesetzt wird. Nicht einmal seinen ehrlichen Namen wagt man auszusprechen, so daß man ihn auch den Unausgesprochenen nennen könnte. Trotzdem ist er dem Menschen lieb und teuer, indem man ihn manchmal den Allerwertesten nennt. Der Allerwerteste, den man ebensogut den großen Unbekannten nennen könnte, denn niemand kann sich rühmen, ihm jemals direkt ins Auge gesehen zu haben. Dieser große Unbekannte ist der Gegenstand meiner heute zu bringenden Ausführungen.

Er ist sehr empfindlicher Natur und über seine ständige Unterdrückung und Hintenansetzung mit Recht verstimmt.

Er hat auch eine Sprache, seine eigene, von der aber bis heute kein Wörterbuch erschienen ist, so daß man die vielen Seufzer und Wehklagen, die er oft von sich gibt, weder verstehen kann noch befolgt.

Er ist von uraltem Geschlecht und war schon bei Adam und Eva zugegen. Selbst den berühmten Sündenfall hat er mitgemacht und von dem verhängnisvollen Apfelbißhat er am nächsten Tage die ach so unangenehmen Folgen verspürt.

In der Jugend hat er so allerhand Freiheit und darf sich des Anblicks von Sonne und Licht noch sehr oft erfreuen. Aber mit fortschreitendem Alter wird ihm leider dieser schöne Anblick mehr und mehr entzogen. Ist es da verwunderlich, wenn er mit der Zeit blaß und vergrämt aussieht?

Trotzdem ist er von großer Wichtigkeit. Durch ihn wird die Jugend erzogen, durch ihn sitzt der König auf seinem Thron und der Bettler auf der Schwelle.

Er ist äußerst intelligent und wohl kaum einer kann behaupten, ihn jemals an der Nase herumgeführt zu haben.

Obwohl er durchweg friedfertig ist, steht er in dem Ruf, hin und wieder Stänkereien anzufangen.

Trotz der feinen Bildung seines Mundes ist er kein guter Redner. Auch zum Singen ist er nicht geeignet, er hat einen zu kurzen Atem. Trotzdem ist ihm sein musikalisches Talent nicht abzusprechen. Bei manchen Menschen ist er ganz besonders zum Posaunenbläser geeignet.

Als Handwerk hat er das Seildrehen gelernt. Jedoch erfreuen sich seine Erzeugnisse keiner besonderen Haltbarkeit und Länge. Es kann kaum behauptet werden, daß sich jemals ein Mensch an solch einem Strick aufhängte.

Ein Modegeck ist er auch nicht. Selbst die raffinierteste Kokotte hat ihn noch niemals mit Puderquaste und Lippenstift bearbeitet.

Er ist klug und weise. Er hat nämlich fast alle Zeitungen abonniert. Auch die meisten Liebesbriefe werden ihm zur letzten Begutachtung vorgelegt. Da sie seinem hohen Verstand aber nicht genügen, läßt er sie, mit seinem Stempel versehen, in den Abgrund verschwinden.

Behandeln Sie ihn in Zukunft besser und Sie werden einen dauernden Vorteil von meinem heute gebrachten Vortrag haben.